Samstag, 5. Mai 2012

[Literaturkritik] Kriegsbraut von Dirk Kurbjuweit

Frauen in Afghanistan? Geht nicht? Geht doch! Oder?

Dirk Kurbjuweit versucht in seinem neuesten Roman die Erfahrungen einer deutschen Soldatin zu schildern. Er enthüllt eine ganz andere Perspektive auf den Krieg in Afghanistan, aber einen stereotypen auf die Gefühlswelt einer jungen Frau.  


PENG, PENG, PENG. Ratter, ratter, ratter. Schreien. Explosion. Staub. Rauch. Verwundete. Sirenengeheul. Dröhn, dröhn, dröhn. KRACH, BUMM, PENG.

So kennen wir den Krieg. Aus den Nachrichten. Aus alten und neuen Filmen. Je brutaler, desto spektakulärer. Laut ist der Krieg. Ständig werden Schüsse abgegeben. PENG, PENG, PENG. Die deutschen Soldaten auf dem Vormarsch. Furchtlos. Kämpfend. Männer.

Und Afghanistan? Was verbinden wir mit dem südasiatischen Binnenstaat? Hindukusch? Wüste? Karge Landschaft? Taliban? Krieg? Kurbjuweit beschreibt in seinem Roman Kriegsbraut die Berge als „gelbbraun, schroff, faltig“ mit weißen Kuppen „als läge eine weiße Hand auf dem Gipfel“. Eine „gelbe Landschaft“. Die Taliban sind die bösen Geister in Kriegsbraut. Immer da, drohend, aber doch nicht anfassbar. „Ein Krieg, hatte sie (Esther) immer gedacht, ist laut, nun starb sie an der Stille.“ So zieht sich der Krieg durch den gesamten Roman. Ruhig, nervenzehrend, still. Afghanistan zusammengefasst? „Diese fürchterlich nackten Berge, die hermetischen Dörfer, die grimmigen Männer und unsichtbaren Frauen, die Taliban, der so merkwürdig leise Krieg.“

In dieses Setting verschleppt Dirk Kurbjuweit den Leser in Kriegsbraut. Die Kriegsbraut, die deutsche Soldatin, der Leutnant: Das ist Esther, Esther Dieffenbach. Geboren in der DDR, dort aufgewachsen, mit zehn die Wende, studierte Informatikerin, Bardame und 2006 in Afghanistan stationiert – in der „gewaltigen Ödnis“ und mit Frauen in blauen Burkas. Aber erst mal von vorn.

Zu Beginn gewährt Kurbjuweit einen kurzen Einblick aus Afghanistan, 2006. Doch wie kommt eine junge Frau in dieses Land? Die Wurzel diesen Übels liegt zwei Jahre zurück: Esther hat sich von ihrem langjährigen Freund Jasper getrennt. Sie will ausbrechen, Neues erleben, ihr eigenes Leben leben. Statt als Informatikerin zu arbeiten, jobbt sie in einer Bar in Berlin. Sie ist ausgeglichen, wild, frei, aber hungrig nach mehr. Dort lernt sie Thilo kennen. Einen Filmemacher, verheiratet, Kinder.

Aber Esther stört die Moral nicht. Nein. Sie beginnt eine Affäre, lernt Frau und Kinder kennen und versteht dann, dass sie nie ein Leben mit Thilo allein führen wird.

Was macht die emanzipierte Frau dann? Genau. Sie meldet sich zur Bundeswehr. Am besten gleich sofort nach Afghanistan. So ähnlich ist es dann auch. Esther sucht das Abenteuer und doch muss sie feststellen, dass der Krieg kein Abenteuer ist. Nicht einmal das, was sie aus den Nachrichten kennt. Das Lager ist tröge und öde. Sie reißt sich um den Posten, zu einer Schule weit draußen im afghanischen Land zu fahren. Nur um sich dort mal wieder als Frau beweisen zu müssen. Sie lernt den Schulleiter Mehsud näher kennen und – unvermeidlich – verliebt sich in ihn.

Nein, Esther ist kein Teenager mehr, der seine Hormone nicht ganz unter Kontrolle hat. Esther ist 26, 27, so genau wird es im Roman nicht erwähnt. Eine erwachsene Frau. Soldatin. Leutnant. Und doch wegen Liebeskummer in Afghanistan.

Vom Krieg erfährt der Leser nur wenig. Indirekt. Es ist stetig dasselbe: Lager, Fahrt zur Schule, zurück, Lager, Stube. Doch die Stimmung, die Kurbjuweit beschreibt, wird immer drückender – genau wie die afghanische Hitze. Die Sprache ist bildlich, metaphorisch. Die Beschreibung einer Schlucht klingt so: „Die Felsen links und rechts der Zufahrt standen eng beieinander, kippten fast aufeinander zu, als wären sie bereit, wirklich zu kippen und dieses Tor zu verschließen, um bewahren und verdauen zu können, was sie sich einverleibt hatten.“ Kurze Satzfragmente wie Erinnerungsfetzen werden dann, wie hier, von langen Sätzen – ganz unjournalistisch – abgelöst. So entsteht immer wieder der Eindruck von Heranzoomen und Wegzoomen. Ran, weg, ran, weg. Fokussieren, nicht so detailliert, selbst im Kopf ergänzen.

Ein Schuss fällt. PENG. Die Taliban greifen an! Das waren die Taliban! Die haben einen Kameraden getroffen! Alle aus den Stuben!

Nein, so ist das nicht. „Der Oberfeldwebel war pissen, und bei dem, der ihn sichern sollte, hat sich ein Schuss gelöst, und die Kugel ist dem Oberfeld durch den Rücken in den Bauch gefahren und vorne wieder raus.“ Schlimme Sache, aber er überlebt’s. Das nächste Gefecht lässt auf sich warten. Lager, Schule, Lager, Schule. Esther hat Angst vor Kochtöpfen, weil die Taliban da Bomben reinstecken und wenn man den Deckel hebt – KABOOM! Die Nerven liegen blank. Die Gegend spiegelt das wieder: Kahl, sandig, heiß.

RATTER, RATTER, RATTER. Auf dem Rückweg von der Schule geraten Esther und ihre drei Kameraden unter Beschuss. Die Schüsse schlagen in die Fahrzeuge und neben die Soldaten ein wie kleine Bomben. Zwei Tote auf deutscher Seite. „Habt ihr irgendwelche Zivilisten gesehen?“ Die Amis kommen zur Hilfe. Im Hubschrauber. Zisch. Bumm. Weg ist der Hof. Waren doch Zivilisten dort? Mutter, zwei Kinder?

Alles in Ordnung? Volltreffer. „Na dann, Honey. Habt einen schönen Tag.“, zwitschert die amerikanische Pilotin und weg ist die Unterstützung. Mit den Folgen muss Esther allein klar kommen. Fünf tote Taliban, dazu eine Frau, zwei Kinder. Hätte Esther den Tod von Mutter und Söhnen verhindern können?

Nicht nur Taliban getroffen, auch Zivilisten. Ein offenes Geheimnis in der Bundeswehr, obwohl Esther – allen Vorurteilen zum Trotz – nicht getratscht hat. Sonst wussten nur Männer davon. Esther verkeilt sich danach immer mehr in der Liebesgeschichte zu ihrem Mehsud, dem afghanischen Schuldirektor. Ihm öffnet sie sich langsam. Sonst ist sie eher schweigsam, weil Schweigen die Familie zusammen hält. Denn Esther ist in der DDR geboren. Die Mutter Meeresbiologin, aber doch mit typischem Rollenbild des Heimchens am Herd. Dem Vater untergeordnet. Doch Schweigen – das kann Familie Dieffenbach.

Ist die Stille und das Schweigen, die Ereignislosigkeit nun der wahre Krieg? Die Frau, die Soldatin aus Liebeskummer wurde? Der Eindruck drängt sich in Kurbjuweits Roman auf. Schon im Titel verbindet er zwei Gegensätze. Einmal mit Krieg das Grausame, die Schattenseiten, die Brutalität. Mit Braut das Weibliche, Geordnete, die Weichheit. Die Sicht aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Der Kriegsbraut Esther, einer jungen Frau, die von ganz anderen Gefühlen und Gedanken getrieben wird als man es von Soldaten annehmen würde. Die durch eine fixe Idee in den Krieg zieht und nicht daran denkt als Braut zurück zu kommen.


Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut;
Rowohlt Berlin, 2011;
336 S., 19,95 €

2 Kommentare:

  1. Huhu,
    ich habe gerade eben deinen Kommentar auf Nicas Bücherblog gelesen, als du meintest, dass dein einziges gelesenes Buch von Sebastian Fitzek "Seelenbrecher" ist. Unbedingt: "Der Augensammler" + "Der Augenjäger". Die Bücher sind so genial und danach willst du alles von Fitzek lesen!!

    LG Jimmy

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  2. Hey!

    Hihi, ich hab "Der Augensammler" als uncut Hörbuch gehört. ;-) Aber Danke!!! "Der Augenjäger" steht definitiv noch auf der Liste. "Das Kind" hab ich auch schon gehört und war sehr begeistert. ;-) Und "AmokSpiel" hab ich auch schon gehört.
    Fitzek wird auf jeden Fall weiter gelesen. :D

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